Marasmius bulliardii Quél.

Laubblatt-Rädchen-Schwindling oder auch „Käsepilzchen“

Fundbeschreibung von Hansjörg Kevenhörster

Am 19. September 2022 entdeckte ich im Valdunawald neben der Finnenbahn der Marktgemeinde Rankweil auf einem liegenden Buchenblatt extrem winzige Pilzchen. Mit ihren etwas eingetrockneten Hütchen von gut 1 mm Durchmesser und einem langen, rosshaarähnlichen Stiel sahen sie genauso aus wie Käsepilzchen. Aber die nach einer Feuchtperiode in bodensauren Fichtenwäldern rasig vorkommenden Käsepilzchen habe ich bisher immer nur auf den meist teppichartig am Boden liegenden, rottenden Fichtennadeln gefunden. Da die Bestimmung solcher fallschirmartig aussehenden Winzlinge bei unseren Vereinsexkursionen schon öfters wegen allgemeinen Unsicherheiten zu längeren Diskussionen führte, wollte ich nun einmal abklären, wie und wodurch die verschiedenen ähnlich aussehenden Schwindlinge im Feld zu unterscheiden sind.

Zunächst einmal sollte mit der Lupe geprüft werden, ob die Lamellen direkt am Stiel angewachsen sind, oder ob um den Stiel herum ein kragenartiger, geschlossener Ring (Collar) zu sehen ist, an welchem die Lamellen breit angewachsen sind. Dieses ist beispielsweise deutlich ausgeprägt bei Marasmius rotula, dem Halsband-Schwindling. Jedoch dieses wunderschöne Pilzchen unterscheidet sich vom hier porträtierten Marasmius bulliardii durch wesentlich größere und hauptsächlich weiße Hüte. Zudem kommt der Halsband-Schwindling meist auf Holz oder verholztem Substrat vor. Zu weiteren Marasmius-Arten mit fallschirmartigen Hütchen und einem Collar zählt auch Marasmius curreyi (Syn.: M. graminum), der Orangerötliche Gräser-Rädchen-Schwindling, welcher an abgestorbenen Gräsern vorkommt und in Vorarlberg erst einmal gefunden werden sollte. Eine weitere, ähnliche Art ist auch Marasmius limosus, der Schilf-Rädchen-Schwindling, welcher seinem deutschen Namen entsprechend, hauptsächlich an Schilf wächst. Auch diese Art war für Vorarlberg zum Zeitpunkt meiner Berichterstattung in der Mykologischen Datenbank noch nicht registriert.

Hingegen gilt bei uns als absoluter Massenpilz Marasmius wettsteinii (Syn.: Marasmius bulliardii forma acicola), der Nadeln-Rädchen-Schwindling oder eben das Nadeln-Käsepilzchen. Und damit wären wir nun beim eigentlichen „Doppelgänger“ vom hier vorgestellten Marasmius bulliardii. Wie auch hier der deutsche Name schon aussagt, wächst das Nadeln-Käsepilzchen auf abgefallenen Nadeln vor allem der Fichte. Makroskopisch ist dies wohl der auffälligste Unterschied zu Marasmius bulliardii, welcher auf abgefallenen Blättern hauptsächlich von Buche und Eiche vorkommt. Erhard Ludwig führt als weitere Substrate aber auch noch Blätter von Ahorn, Erle, Esche, Hainbuche, Rosskastanie, Weide, Rubus sowie Farnwedel an. Da es nun zwei verschiedene Arten von Käsepilzchen mit demselben Aussehen gibt, ist zur Unterscheidung bei der Feldbestimmung ganz besonders das Substrat zu berücksichtigen.

Zu den ähnlich aussehenden Schwindlingen, allerdings ohne Collar gehören z.B. der Rosshaar-Schwindling (Syn.: Marasmius androsaceus), welcher nun als Gymnopus androsaceus zu den Blasssporrüblingen gezählt wird. Der Rosshaar-Schwindling hat im Unterschied zum Laubblatt-Käsepilzchen einen meist verflachten, in allen Stadien dunkelbraunen Hut und wächst hauptsächlich sehr gesellig auf Resten holziger Pflanzen. Auch der Nadel-Stinkschwindling wechselte inzwischen seine Gattung über Marasmiellus, Marasmius, dann zu Micromphale auf nunmehr Paragymnopus perforans, Nadel-Stink-Rübling. Er kommt ebenfalls nach feuchtem Wetter wie gesät in großen Gruppen auf Fichten-Nadelstreu vor. Sein häutiger Hut ist abgeflacht und stark runzelig bis höckerig. Gequetscht verströmt er einen widerlichen Geruch nach faulendem Kohl mit einer gewissen Knoblauch-Komponente. Dieser „Stinker“ sollte selbstverständlich nicht mit Mycetinis scorodonius, dem Küchen-Knoblauch-Schwindling verwechselt werden. Dem hier vorgestellten Marasmius bulliardii (mit Collar) würde oberflächlich betrachtet noch am ehesten Marasmius anomalus, der Trockenrasen-Schwindling ähnlich sehen. Er hat aber kein Collar und wurde  hauptsächlich auf Trockenrasen und lt. Datenbank bisher nur im Osten unseres Bundesgebietes gefunden.

Nach dieser ausführlichen Beschreibung der makroskopischen Unterschiede zu meinem Fund, dem Laubblatt-Rädchen-Schwindling oder auch „Laubblatt-Käsepilzchen“ genannt, erwähne ich nur noch kurz, welche Literatur für mich hilfreich war. BK 3/Nr.278, Ge 144, Gh 195/3, Kr 3/352-353, Lu 1/Nr.47.16, Lx 201/2, RH 327/2. Ich hoffe, dass es mir mit meinen folgenden Fotos trotz Winzigkeit der Pilzfruchtkörperchen gelang, die Erkennungsmerkmale von Marasmius bulliardii ausreichend zu dokumentieren. Sein halbkugeliger, fallschirmartig grob gefurchter Hut hat eine hellbräunliche Farbe. Im Zentrum ist er meist etwas blasser und deutlich genabelt. Am Grund des Nabels ist eine kleine Papille als schwarzbrauner Punkt erkennbar. Die entfernt stehenden Lamellen sind an einem deutlichen Collar breit angewachsen. Sein bis zu 5 cm langer Stiel ist rosshaarartig dünn, glänzend schwarzbraun und kann Seitenästchen mit knopfartigen Enden ausbilden.

Die Beschäftigung mit den unscheinbaren Pilzchen bereitet mir besonders viel Freude, weil sie trotz ihrer faszinierenden Schönheit eher wenig bekannt sind und zudem von den Speisepilzsammlern nicht entnommen werden. Um jedoch die überaus glücklichen Momente des „Erforschens“ genießen zu können, muss man sich allerdings ausreichend dafür interessieren.

Fotos: Hj. Kevenhörster