Hypoxylon ticinense L. E. Petrini
Kleinsporige Kohlenbeere
Fundbeschreibung von Hansjörg Kevenhörster
Ende Oktober 2023 fotografierte ich im Feldkircher Ortsteil Gisingen in den „Alten Rüttenen“ in einem auwaldähnlichen, krautigen Habitat mit Weiden und Haselnussbüschen unter einem Hartriegelstrauch (Cornus sanguinea) verschiedene Gruppen des Braunen Büschel-Raslings (Lyophyllum decastes). Als ich dann zu Hause meine Rasling-Fotos betrachtete, fiel mir auf einem, nämlich auf Bild Nr.1 der unten stehenden Fotos, im Bild links ein rotes Fleckchen an einem liegenden Aststück auf.
Diese Entdeckung ließ mir keine Ruhe mehr, denn ich hoffte, dass es sich hierbei vielleicht um ein Exemplar der schon längst gesuchten Kleinsporigen Kohlenbeere (Hypoxylon ticinense) handelt. Deshalb fuhr ich am 03. November 2023 wieder zur gleichen Fundstelle und hob den Ast vom Boden auf. Mit überaus großer Freude darf ich nun berichten, dass hauptsächlich an der Unterseite des abgestorbenen, ca. 2 m langen und 3 cm dicken Hartriegel-Astes tatsächlich 18 wunderschöne, rostrote Stromata der bei uns weitgehend unbekannten Kohlenbeeren-Art Hypoxylon ticinense vorhanden waren. Ihre Größen reichten von 1 x 1,5 cm bis zu 3 x 10 cm. Die flache Wuchsform war völlig unregelmäßig in ihrer Ausdehnung sowie in ihrer welligen Oberfläche und in ihrer Dicke von ca. 1 mm. Um die winzigen Ostiolen (Mündungsöffnung der Perithezien) dieses eigentlich auffälligen Ascomyceten zu erkennen, muss man schon sehr genau durch die Lupe schauen. Aber wer sich öfters mit Kohlenbeeren näher beschäftigt hat, der hat sicherlich auch schon einmal den Beitrag „Hypoxylon rubiginosum und ähnliche Arten“ von Gernot Friebes et al. studiert und weiß, worauf es bei der Bestimmung von Kohlenbeeren ankommt. Da der Test mit den KOH-löslichen Pigmenten der Stroma-Oberfläche von Hypoxylon ticinense zu einem ähnlichen orange-roten Ergebnis wie bei manchen anderen Hypoxylon-Arten führt, würde ich dieses makroskopische Unterscheidungsmerkmal hier aber eher vernachlässigen.
Hingegen sind die mikroskopischen Merkmale eindeutig. Meine Messungen der typischen, ungleichseitigen Hypoxylon-Sporen ergaben ziemlich einheitlich 6-6,5 x 3 µm. Die sehr schlanken und schwach amyloiden Asci wiesen Gesamtlängen von 88-100 x 5 µm auf, wovon der sporentragende Teil 38-46 µm ausmachte.
Eine Verwechslungsmöglichkeit besteht besonders mit der nahezu gleich aussehenden Art Hypoxylon subticinense, welche sich nur mikroskopisch unterscheiden lässt. Ihre Sporen sind nahezu gleichseitig geformt und mit 8-11,5 x 4-5,5 µm größer als bei H. ticinense.
In den Pilzbüchern sucht man so ziemlich vergeblich nach H. ticinense. Die einzigen Unterlagen fand ich im 4 kg schweren, „größten Pilzatlas der Welt“ von Ladislav Hagara, Ausgabe 2014, in slowakischer Sprache, auf Seite 127.
Obwohl in der Österr. Datenbank von Hypoxylon ticinense derzeit nur Funde aus Wien, Niederösterreich, der Steiermark und aus dem Burgenland aufscheinen, ist mein seltener Fund dieser wärmeliebenden Kohlenbeeren-Art garantiert kein Erstfund in Vorarlberg. Denn schon während der Exkursion des Pilzkundlichen Vereins Vorarlberg am 18. März 2017 in Gaißau (Rheinholz) fand Heidi Ulrich an Weißdorn (Crataegus) einige Stromata von Hypoxylon ticinense. Leider wurden damals Heidis Pilze trotz ihrer Einwände unrichtig als junge Exemplare des Polsterförmigen Feuerschwamms (Fomitiporia punctata) bezeichnet. Da sich Heidi weiterhin mit dieser Fehlbestimmung nicht zufrieden gab, ließ sie ihren Fund aus Vorarlberg vom bekannten Schweizer Mykologen Stefan Blaser nachbestimmen. Dieser erkannte ihn schon beim ersten Blick als Hypoxylon ticinense. Seither ist mir bekannt, dass dieser bisher nur aus dem Osten Österreichs bekannte Pilz auch in Vorarlberg gefunden werden kann und ich wünschte mir sehr, eines Tages seine Fruchtlager auch selber zu finden und dokumentieren zu können.
Außerdem halte ich den Begriff „Erstfund“ für ein ganzes Land ohnehin für verfehlt. Nur deswegen, weil in der Datenbank noch keine Fundmeldung zu einer speziellen Art für ein bestimmtes Gebiet aufscheint, kann doch niemand wissen, ob die betreffende Pilzart dort tatsächlich „noch nie“ gefunden wurde. Wie auch in diesem Beitrag berichtet, können Funde beispielsweise falsch bestimmt oder einfach nur für die Datenbank noch nicht gemeldet worden sein. Deshalb würde ich anstatt der oft überbewerteten Formulierung „Erstfund“ korrekterweise die Bezeichnung „Erstkartierung“ verwenden. Damit sollte so mancher Wunsch nach einer pilzkundlichen „Sensation“ ebenfalls befriedigt werden und die ehrliche Freude an einem seltenen Fund keineswegs geschmälert sein.
Fotos: Hj. Kevenhörster