Cytospora leucosperma (Pers.) Fr.

Syn.: Cytospora incarnata

Fundbeschreibung von Hansjörg Kevenhörster

Eigentlich sollte diese Fundbeschreibung eher als „Eine unendliche Geschichte“ betitelt werden und eigentlich sollte ich diesen Beitrag gar nicht veröffentlichen, weil ich mich damit selber blamiere. Aber vielleicht kann ich durch diesen ausführlichen Erlebnisbericht anderen Mikroskopier-Anfängern viel sinnlos verlorene Zeit und so manchen peinlichen Irrtum ersparen.

Doch zunächst einmal alles der Reihe nach. Ende Oktober 2020 entdeckte ich auf einem Brennholzstapel den Abschnitt von einem berindeten Stämmchen einer jungen Esche mit einem Durchmesser von ca. 3 cm, an welchem sich kleine Fruchtkörperchen von Encoelia fascicularis (Schwarzbrauner Büschelbecherling) angesiedelt hatten. Rund um diese faszinierenden Becherlinge war die dünne Rinde des Jung-Eschen-Stämmchens ziemlich dicht von winzigen Wärzchen übersät. Nun wollte ich natürlich auch wissen, um welche Pyrenos es sich hierbei handeln könnte. Die Bestimmung sollte eigentlich kein Problem darstellen und so mikroskopierte ich gleich einmal ein paar der freigelegten, knapp 0,3 mm winzigen Perithezien. Als ich hoch erfreut „tausende“ umhertanzende Sporen schon im ersten Präparat erblickte, kapierte ich leider nicht sofort, was hier eigentlich Sache war. Die unzähligen, allantoiden (wurstförmigen, zylindrisch gekrümmten) und hyalinen (farblos, durchsichtigen) Spörchen maßen gerade einmal 5-6 x 1 µm. Nun schaute ich im Ellis & Ellis nach, welche auf Fraxinus vorkommenden Pilze solche Sporen haben. Problemlos waren sofort zwei Arten mit allantoiden Sporen gefunden, nämlich Cryptosphaeria eunomia und Cryptovalsa protracta. Aber leider kamen diese beiden Möglichkeiten nicht in Frage, weil sie viel größere Sporen ausbilden. Björn Wergen hat in seinem Pyrenomyceten-Buch, Vol Ib, auch eine Liste für ausgewählte, artenreiche Substrate. Leider ist dort Fraxinus nicht enthalten. Deshalb setzte ich meine Suche im Internet fort, wo nun eine aufwendige Nachforschung unzähliger Einzelheiten begann.

Zahlreiche Arten, wie z.B. Diatrype sordida, Cryptosphaeria eunomia var. Fraxini, Valsa fraxinicola, Cryptosphaeria populina, Cytospora leucosperma und Cryptosphaeria lignyota etc. mussten überprüft werden, ob eine davon mit meinem Fund überein stimmt. Keine der untersuchten Pilzarten hatten laut den Beschreibungen so kleine Sporen, dass sie zu meinen Messungen passte. Meine zeitvergeudende und logischerweise auch erfolglose Suche im Internet ging so lange, bis ich schließlich im Pilzforum.eu einen aufschlussreichen Hinweis fand. Dort erkundigte sich jemand am 4. Januar 2018 über eine Valsa und erwähnte in der Beschreibung seiner mikroskopischen Wahrnehmungen: „Ja, und dazu gibt‘s auch noch leicht bräunliche oft zusammenklebende Konidien 4-6 x 1-1,2 µm.“ Jetzt erst bemerkte ich endlich, was ich während all der endlosen Nachforschungen immer unberücksichtigt ließ. Meine Sporenmessungen betrafen Konidien! Nun fertigte ich ein neues Präparat an und bekam so die entscheidenden Ascosporen in den Größen 14-17 x 3,5-4,5 µm.

Diese passten dann ziemlich gut zu den Beschreibungen von Valsa nivea (Syn.: Leucostoma niveum) im BK 1/362; De 340, Pl.XXXVIIB; E&E Seite 193, Fig.855 und Bw Nr.0052. Erst dann entdeckte ich im Band Ia von Björn Wergen unter Nr.52, dass er auf seinem Makro-Foto rechts oben sowohl Anamorph (Nebenfruchtform) als auch Teleomorph (Hauptfruchtform) nebeneinander abgebildet hat. Bei meiner Aufsammlung waren diese beiden Fruchtformen ebenfalls gemischt und dicht beieinander. Ohne Lupe ist ein Unterschied zwischen den beiden Fruchtformen kaum erkennbar. Nun werden in der Literatur als Substrate für die Valsa nivea nur Populus tremula und Populus nigra angegeben. Das verunsicherte mich so sehr, dass ich nochmals den am Fundort auf dem Holzstapel zurückgelassenen Abschnitt des Jungstämmchens aufsuchte und auch anhand der Knospen an den dort verbliebenen Seitentrieben eindeutig feststellen konnte, dass es sich bei meinem Fund wirklich um eine Esche handelte. Beinahe wäre ich schon geneigt gewesen, meine winzigen Findlinge schlussendlich als Valsa nivea, Syn. Leucostoma niveum (Weißscheibiger Pappel-Kugelpilz) gelten zu lassen. Schließlich soll es ja schon öfter vorgekommen sein, dass sogar Pilze „fremd gegangen“ sind. Aber da nur eine ganz sichere Bestimmung so richtig Freude macht und meine Kernpilzchen außer dem ungenau zutreffenden Substrat und den Sporengrößen zudem auch noch achtsporige Asci (Schläuche) haben, während in der Literatur für V. nivea hauptsächlich viersporige Asci angegeben werden, musste ich doch ein weiteres Mal überprüfen, ob V. nivea wirklich stimmen kann.

Nachdem ich nun überzeugt war, dass es sich bei meinem Fund um eine Art der Gattung Valsa handelt, schrieb ich mir aus dem E&E zu allen dort  angeführten 13 Valsa-Arten ihre Wirtsangaben und Sporengrößen heraus. Valsa ambiens kommt u.a. auf Esche vor, hat achtsporige Asci und besser passende Sporengrößen von 15-18 x 3-4 µm. Die Valsa ambiens scheint im E&E nicht in der Auflistung jener Ascomyceten auf, die speziell an Fraxinus vorkommen, weil sie lt. E&E auch an Acer, Betula, Corylus, Crataegus, Fagus, Fraxinus, Malus, Populus, Prunus, Quercus, Rosa, Rubus, Sorbus, Ulmus etc. vorkommen kann. Björn Wergen führt als Substrat z.B. Salix an.

Valsa ambiens hatte ich anfänglich ausgeschlossen, weil im Internet als Substrat meistens nur Apfelbaumzweige und völlig falsche Sporengrößen von 11,3-26,6 x 4,1-6,1 oder auch 16,8-30,4 x 4,3-6 µm angegeben wurden. Selbstverständlich richte ich mich lieber nach den Angaben einer seriösen Fachliteratur, als nach jenen im Internet. Als Literatur für Valsa ambiens dienten E&E Seite 41, Fig.161 und Bw Nr.0053 sowie De 340, Pl.XXXVIIA. Da dieses Taxon in der für den PKVV verbindlichen Mykologischen Datenbank mit aktuellem Namen als Cytospora leucosperma (Pers.) Fr. geführt wird, lautet das zufriedenstellende Ergebnis meiner wohl zeitraubenden Nachforschungen nun endgültig Cytospora leucosperma.

Voll Respekt und Bewunderung war es mir wert, den enormen Zeitaufwand auf mich genommen zu haben. Schließlich machte es überaus glücklich und zufrieden, das Geheimnis jener winzigen Pilzfruchtkörperchen gelüftet zu haben, die weder Hut noch Stiel besitzen und eigentlich fast nur wie Nadelstiche in der Rinde von toten Zweigen verschiedener Laubbäume aussehen. Eine einwandfreie Pilzbestimmung ist tatsächlich der ehrliche Lohn für sämtliche Mühen und für das nötige Durchhaltevermögen. So wünsche ich abschließend allen Pilzkundlern stets besondere Funde, anhaltendes  Interesse auch an unscheinbaren Pilzen und dass sie bei ihren Bestimmungsversuchen niemals auf die Konidien vergessen mögen.

Fotos: Hj. Kevenhörster