Brefeldia maxima (Fr.) Rostaf.

Großer Blasenstäubling

Fundbeschreibung von Hansjörg Kevenhörster

Am 13. März 2021 entschloss ich mich, den Jahreszeitenwechsel der Natur vom Winter zum Frühling in der „Unteren Au“ in Meiningen beim Umspannwerk zu beobachten und ganz bewusst zu genießen. Dazu kann ich gleich schon vorweg berichten, dass dieser Pilzgang wieder einmal wunderschön und faszinierend war. Disciotis venosa (Aderbecherling) und Exidia glandulosa Syn.: Exidia truncata (Abgestutzter Drüsling) sowie Sarcoscypha austriaca (Österreichischer Prachtbecherling) mussten einfach fotografisch festgehalten werden. Massenhaft Strobilurus esculentus (Fichtenzapfen-Rübling, auch Fiza-Rü.) und selbstverständlich auch Ixodes ricinus (Zecke) im Nymphenstadium waren aber nicht so fotogen, um sie ebenfalls zu veröffentlichen.

Vielmehr möchte ich hier meinen bedeutendsten, absolut  interessantesten Fund eines eher selteneren Myxomyceten (Schleimpilz) vorstellen. Wenn auch die Myxomyceten ganz spezielle Lebensformen und sicherlich keine Pilze sind, so werden sie üblicherweise immer noch zu den Pilzen gezählt. Sowohl die Bezeichnung „Myxomycetes“, als auch der Trivialname „Schleimpilze“ ist laut Wikipedia zwar überholt, jedoch immer noch gebräuchlich. In der Systematik der Eukaryoten nach Adl et al. 2005 werden die Schleimpilze als Eumycetozoa bezeichnet. Allerdings las ich im Wikipedia-Artikel über Myxogastria, dass sich nach neuerem Verständnis das übergeordnete Taxon der Eumycetozoa auch nicht mehr aufrechterhalten lässt.

Während meinem Waldgang an diesem denkwürdigen Tag fand ich im bereits erwähnten Gebiet an einem schräg über dem Auwaldboden hängenden Stamm einer entwurzelten Esche das Sporenlager als Überreste eines großen Schleimpilzes. Eines ganz besonders großen Exemplars mit einer Ausdehnung von 27 x 14 cm. Eigentlich war ich bisher der Ansicht, dass solche rostbraunen Flecken aus Sporenstaub nur der von mir schon öfters gefundene Myxomycet Enteridium lycoperdon (Stäublings-Schleimpilz) hinterlässt. Das wäre auch gut möglich, wenn die leicht abgeflachten, halbkugeligen Aethalien (polsterförmiger Fruchtkörper) dieser Gattung im Durchmesser wesentlich größer werden könnten, als maximal nur 8 cm. Rückblickend hätte mir dies schon beim Auffinden auffallen müssen, aber ich freute mich zunächst einmal nur über das riesengroße Exemplar. Meine umfassende Foto-Dokumentation dieses Fundes war dann selbstverständlich. Ebenso gehört zu all meinen Pilzbestimmungen, dass ich meine außergewöhnlichen Funde zuerst mikroskopiere, bevor ich sie benenne. Zur genaueren Bestimmung von Schleimpilzen verwende ich ausschließlich die drei Bände „Die Myxomyceten“ von Neubert, Nowotny und Baumann. Meines Wissens ist dieses Prachtwerk das Allerbeste, was es an deutschsprachiger Fachliteratur über Myxomyceten gibt. Im Band 1 findet man auf den Seiten 125-127 sehr ausführliche Beschreibungen über Enteridium lycoperdon. Meine Mikromaße der kugeligen Sporen mit einem Durchmesser von 9-12 µm passten nicht gerade optimal und die anderen Mikromerkmale, wie z.B. ein feinmaschiges Netz, wie in der Sporentafel IV unter Nr.5 abgebildet, sowie auch die typischen Sporenklümpchen etc. konnte ich bei mehrfach wiederholten Proben einfach nicht feststellen. So wurde mir durch das Mikroskopieren deutlich klar, dass die stäubenden Reste des gefundenen Schleimpilzes definitiv nicht von Enteridium lycoperdon stammen können. Und wer die akribisch gefertigten Mikrozeichnungen in den erwähnten Bestimmungsbüchern anschaut, dem wird auch ihre wichtige Bedeutung bewusst, nämlich dass diese Merkmale für eine seriöse Bestimmung im Mikroskop zwingend und sehr genau so erkennbar sein müssen.

Da meine Suche nach ähnlichen Myxos mit den von mir ermittelten Mikromerkmalen leider erfolglos blieb, sondierte ich bei unserem Vorstandsmitglied Günter Stadler, ob evtl. die Möglichkeit bestünde, einen der drei Autoren von den erwähnten Fachbüchern zu befragen. Günter hat nämlich einen Bekannten, der wiederum Herrn Wolfgang Nowotny kennt, an welchen er unverzüglich mein Anliegen weiterleitete. Daraufhin erreichte mich prompt die freundliche Antwort von Wolfgang, dem Mitautor der erwähnten Myxomyceten-Bücher. Er ließ mich auch gleich wissen, dass Enteridium lycoperdon aktuell wieder Reticularia lycoperdon heißt. Zudem teilte er mir auch recht kameradschaftlich mit, dass es sich bei meinem Fund eindeutig um Brefeldia maxima handelt. Wen wundert’s, dass dann alle von mir festgestellten Mikromerkmale haargenau mit den Beschreibungen und Mikrozeichnungen auf den Seiten 33-36 vom Band 3 der Bestimmungsbücher „Die Myxomyceten“ überein stimmten. Meine Kurzbeschreibung: braune, feinwarzige, kugelförmige Sporen mit einem Durchmesser von 9-12 µm. Typisch für Brefeldia sind zudem die gekammerten Blasen im Capillitium (Haargeflecht). Eine nähere Beschreibung dieses Schleimpilzes sei hier erspart, da sie nur eine Wiederholung sämtlicher Angaben der Hyperlinks (Querverweise) wäre, die durch einen Klick auf die farbig hinterlegten Begriffe automatisch herunter geladen werden können. Die Gattung Brefeldia dürfte eher selten sein, was auch aus den spärlichen Fundmeldungen in der Österr. Mykologischen Datenbank ersichtlich ist. Dort findet man bis Ende März 2021 nur 5 Einträge für das gesamte Bundesgebiet, nämlich 3 Funde aus der Steiermark und 2 aus Kärnten. Bemerkenswert ist auch, dass in Europa von der Gattung Brefeldia nur diese eine Art bekannt ist. Zudem kann man davon ausgehen, dass B. maxima die größte Art aller Schleimpilze ist, denn es wurden schon Exemplare gesehen, deren Gewicht man auf unvorstellbare 20 kg geschätzt hat.

Wolfgang Nowotny bot mir an, dass wir uns künftig duzen, da im Laufe unserer sehr angenehmen Korrespondenz sich einige Gemeinsamkeiten zwischen ihm und mir heraus stellten. So bin ich Wolfgang zunächst einmal überaus dankbar, dass er meinen Fund aufgrund meiner Angaben bestimmte. Zutiefst beeindruckt bin ich von seinen unvorstellbaren Leistungen auf seinem Spezialgebiet, den Myxomyceten. Wolfgang hat in seinem Herbar ca. 20.000 Aufsammlungen, davon alleine 1.250 aus Vorarlberg. Seine besondere Faszination galt dort den nivicolen Arten, also jenen Myxomyceten, deren Entwicklung durch schmelzenden Schnee angeregt wird. Ein Blick in seine Präparatsammlung ist umwerfend. Besonders verblüffend ist auch die Tatsache, dass Wolfgang alle unzähligen Mikrozeichnungen in erstaunlicher Sorgfalt und bewundernswerter Genauigkeit zu den Farbfotos von Baumann in allen drei Bänden gefertigt hat. Wolfgang gestaltet auch seit Jahren einen „Myxokalender“ mit diversen Themen. Heuer waren es seine wunderschönen Zeichnungen aus den drei Myxo-Bänden. Das Kalenderblatt vom März 2021 zeigt zufällig seine Mikrozeichnung von Brefeldia maxima.

Abschließend bitte ich um Nachsicht, dass aus einer kurzen Fundbeschreibung wieder ein sehr ausführlicher Erlebnisbericht wurde. Aber mit meiner umfassenden Schilderung des gesamten Ablaufs möchte ich einerseits deutlich machen, dass eine seriöse Pilzbestimmung oft nicht nur in wenigen Stunden oder gar in Minuten erledigt ist. Andererseits hoffe ich, dass durch solche Beispiele auch möglichst viele Mitglieder des PKVV motoviert werden, sich künftig noch mehr mit den faszinierenden, schleimigen und stäubenden Organismen zu beschäftigen. Jetzt aber lohnt es sich garantiert – und man sollte es wirklich nicht versäumen – sich zum Schluss auch noch die kurze, jedoch einzigartige Präsentation über Brefeldia maxima anzuschauen. Hier wird das Interesse an „Myxos“ ganz besonders reichlich belohnt – viel Vergnügen!

Fotos: Hj. Kevenhörster